X-Alps 2023 ist noch nicht vorbei, doch... (plus Nachtrag)

Das Rennen ist noch nicht vorbei, doch...

...wenn nicht alle Stricke reissen -
- dann wird in ein paar Stunden, während ich das schreibe, das heurige x-Alps einen altbekannten Sieger haben: das Phänomen Chrigel Maurer ‘natürlich’!

Wieso Phänomen und natürlich in Anführungszeichen? Vor zwei Jahren schrieb «Dubi», wie ihn die Tächi (Dohlen) von Grindelwald nennen, Folgendes unten. Dubi war vor Martin Scheels Zeiten mal Liga-Chef und hat Tächi-Grössen wie Alex Hofer, später X-Alps Gewinner 2005 + 2007, und eben auch Chrigel Maurer als Jungspunde ins Wettkampf-Fliegen eingeweiht. Ein profunder Kenner der Szene also. Dubi wurde heuer 65 und untersagte sich als Rentner das Kommentieren der X-Alps 2023, und ein:e Nachfolger: in wollte sich die grossen Schuhe offenbar nicht anziehen.

 Zitat (Anmerkung von mir: Dubi hat in frühereren X-alps-Kommentaren von des Sängers Höflichkeit geschrieben, um gewisse Dinge nicht beim Namen nennen zu müssen):
 
Newsfeed Jungfrau-Tächi       8-Jun-2021
Der siebte Streich
Der Sänger bricht sein Schweigen und hebt zu einem Loblied an:
  • Über sieben Teilnahmen und ebenso viele Siege, unglaublich!
  • Über sieben Teilnahmen und sieben überlegene Siege, zum Schluss auch diesmal.
  • Über sieben Teilnahmen ohne schwerwiegenden Fehler.
  • Über sieben Teilnahmen und jedes Mal einem fliegerischen Glanzstück.
  • Über sieben Teilnahmen und immer war ein unglaubliches fliegerisches Detail dabei.
  • Über sieben Teilnahmen eines Teams, das sinnvolle und nachvollziehbare Entscheide fällt.
  • Über sieben Teilnahmen des ausserordentlichsten Fliegers unserer Zeit! 
Urs Dubach/Jungfrau-Tächi Grindelwald, Provence 28.6.2021, 17.30 h
 
Was Dubi wohl dieses Jahr geschrieben hätte? Einfach 7 durch 8 ersetzt? Kaum, denn das würde eben dem «Phänomen» und dem «natürlich» bei weitem nicht gerecht. Zur Veranschaulichung: wären die X-Alps olympisch, wäre Chrigel unterdessen schon 41/2-facher Olympiasieger!! Von 2009 bis 2023 hat er alle Ausgaben gewonnen, gelegentlich sogar dominiert. Und eben nicht wie andere Spitzensportler, die sich Medaillen zuhauf im Hoch ihres Sportler-Lebens holen, wie wir als Kinder Sugus-Täfeli, wenn sie zur Hochzeitskutsche hinausgeworfen werden – nein, über 15 Jahre Dauer!
Ich kenne keine anderen Persönlichkeiten im Spitzensport, die dermassen prägend waren. Nicht Roger Federer oder die Williams-Schwestern (Tennis), nicht Simone Niggli-Luder (OL), nicht Pirmin Zurbriggen (Ski), Michael Phelps (Schwimmen), oder Simone Biles (Kunstturnen) nur so als Beispiele, alles Überflieger zu ihrer Zeit, um beim Bild des Gleitschirmsports zu bleiben. Klar, x-alps findet bloss alle zwei Jahre statt, nicht dauernd übers Jahr verteilt, beispielsweise wie Tennis, trotzdem.
Und wieso «natürlich»? Weil wir uns schon fast daran gewöhnt haben, dass Chrigel als Erster auf dem Floss landen und dann zuoberst aufs Podium steigen wird? Wie geht er mit diesem und auch seinem Erwartungsdruck um? Alles andere als selbstverständlich und «natürlich».

Was hätte Dubi kommentiert zum überraschenden Supporter-Team-Wechsel so kurz vor Renn-Beginn? Eine emotionale und mentale Befreiungsaktion, statt «Never Change a Winning Team», wie man teilweise vernommen hat?
Was zu dem horrenden Tempo, das die Spitzenleute an den Tag legten? Bei Biselagen, die die meisten von uns sicher nicht auf die Alpensüdseite gezogen hätte, und schon gar nicht in die Höhen von Mont Blanc und Dufourspitze. Über den vermeintlichen Magic-Move mit dem Night-Pass auf den Lötschenpass rauf? Der ihm als in Frutigen Lebender, und Führender im Rennen, zwar einen höchst emotionalen Empfang dort bescherte, aber nicht den erhofften Vorsprung ab dem Niesen, weil seine unmittelbaren Verfolger auf den Gipfel hochfliegen konnten und nicht wie er raufhetzen mussten zu Fuss (nebenbei: 1630 Hm in 2h13min...).
Im Gegenzug hatte ich den Eindruck, dass Maxime Pinot sich tags darauf gezwungen fühlte, mit einem Night Pass zu kontern, weil ihn Chrigel am Petit Saint Bernard (TP 10) etwas abhängen und nach über 200 km Flug an dem Tag noch nach Aosta rausfliegen konnte.
Die folgenden Wechsel an der Spitze sorgten zwar wieder etwas für Spannung im Rennen für die Zuschauer zuhause am PC. Wie Chrigel dann aber im äusserst anspruchsvollen, um nicht zu sagen gefährlichen, weil stark nordwindverblasenen Norditalien seine unmittelbaren Verfolger sukzessive distanzierte, war einmal mehr absolute Sonderklasse, darunter war wohlverstanden der aktuelle, erst kürzlich gekrönte Weltmeister.
 
Wer und wann auch immer den Begriff des «Adler von Adelboden» geprägt hat, er stimmt offensichtlich, Chrigels Leistungen haben schon fast etwas Übermenschliches.

Was hätte Dubi kommentiert zu den Wahnsinns-Strecken, die zurück gelegt wurden: Über 1800 km in 6 Tagen?! Zu den sackstarken Leistungen der anderen 3 Schweizer? Dem Kampf einiger Frauen gegen die Eliminierung, einmal mehr? Dem medizinisch bedingten Forfait von Urgestein Toma Coconea?
Wer Dubi irgendwo fliegerisch antrifft mit seinem Hochleister, oder gar seiner «Wettkampftüte», kann ihn ja fragen, er gibt sicher gerne Auskunft über seine Einschätzungen.

Morgen Sonntag starten die GCE-Flugferien f4f in Westendorf, Tirol. Mit etwas fahrerischem Aufwand könnten einige Wettkämpfer:innen auf der Schmittenhöhe bei Zell am See, oder unten beim Floss, begrüsst und bejubelt werden. Macht wer mit?

Thomas Uhlmann, Worb, 17.06.2023 / 12:00 h

Nachtrag zum X-Alps 2023: die Stricke haben gehalten…
…und Chrigel hat auch diese Ausgabe des X-Alps – erwartungsgemäss - gewonnen, in einer Wahnsinnszeit von 6 Tagen und 6 Stunden. D.h. er war am Samstag um 17:31 auf dem Floss in Zell am See, 12 Stunden vor seinen ‘nächsten’ Verfolgern FRA 1 und FRA 2, Damien Lacaze und Maxime Pinot. Die 3 anderen Schweizer erreichten ebenfalls bravourös das Ziel, auf den Rängen 5 (Patrick von Känel), 12 (Sepp Inniger) und 17 (Reto Reiser). So etwas gab es noch nicht.
Geholfen hat dabei sicher das absolut aussergewöhnliche Hochdruckwetter, das erst ab der westlichsten Boje, Mont Blanc, jeweils für Gewitter sorgte, die natürlich im Auge behalten werden mussten. Da gab es auch schon ganz andere X-Alps-Ausgaben, als sie tagelang durch Regen 'schuenen' mussten.

Ausschlag gegeben für meinen Nachtrag hat jedoch insbesondere der 1.Frauen-Sieg durch die Österreicherin Eli Egger, die als 21. ins Ziel kam, nach 10 Tagen und 5 Stunden – herzliche Gratulation! Die PWC-Pilotin, Fluglehrerin und XC-Coachin hatte sich selbstverständlich ganz gezielt auf die X-Alps vorbereitet, wie ich dem Magazin «Thermik» entnehmen konnte. In früheren X-Alps war jeweils 48 Stunden nach Chrigels Zielankunft «Schluss mit lustig», sehr zum Bedauern wahrscheinlich einiger Athletinnen und Athleten – und RedBull als Organisator…
Hätten diese 48 Stunden nach wie vor gegolten, wäre Eli Egger noch 210 km vom Ziel entfernt gewertet worden, aber immerhin 19 Teilnehmer wären nach Zell am See gekommen, der Pole Michal Gierlach in 8 Tagen und 1 Std als Letzter. Ob da RedBull als Österreicher Unternehmen und Organisator im Vorfeld schon etwas am Reglement ‘geschraubt’ hat?!
Trotzdem eine gewaltige Leistung von Eli Egger, in 2 Tagen 210 km zu meistern, wohl keiner von uns wäre dazu in der Lage, vielleicht mit Ausnahme von Ädu Keller, dem Ex-X-Pyrler und Ex-X-Alper. Der im Übrigen dieses Jahr als Not-Supporter von Patrick von Känel fungierte und ihm quasi auf die Minute genau ein Klettersteigset per MTB an den Einstieg bringen konnte (1000 Hm in einer Strunde, oder so was…), da die Zufahrt mit Hundertschaften ‘normaler’ Touristen (und Zuschauer?) völlig versperrt war!

Es waren noch 3 weitere Frauen am Start, die es alle aber nicht bis ins Ziel schafften (DNF = Did not finish und OUT = Eliminierung): 850 km vor dem Ziel wurde FRA 3, Laurie Genovese, eliminiert. Die gleiche Teilnehmerin, die vor zwei Jahren im Regen in der Gegend der Zugspitze über einer Hochspannungsleitung am Notschirm runter musste und dann in Fiesch emotional völlig erschöpft aufgab. Sie war auch dieses Jahr mental zu fragil, wie sie selber schrieb, bei diesen äusserst anspruchsvollen Nordwind-Lagen voll durchzuziehen – schade.
Die Deutsche Celine Lorenz war die nächste Frau, die knapp 700 km vor dem Ziel aufgeben musste, auf medizinischen Rat, wollte sie nicht bleibende Schäden an den Füssen riskieren.
Und last but not least, gut 600 km vor dem Ziel, Kinga Masztalerz, die für Neuseeland startende, exilierte Polin. Eine selten verwegene Biwak-Pilotin, die in Neuseeland weitab jeglicher Zivilisation tagelange Flüge unternommen hat, wie auf ihren Social-Medias nachzulesen ist und dabei mutterseelenalleine für Essen, Trinken, Übernachtung und Schutz vor wilden Tieren (!) sorgen musste. Entsprechend ihrer Biwak-Erfahrung übernachtete sie am X-Alps 2023 einmal auf etwa 2300 MüM auf der Roten Furka unter freiem Himmel. Ich nehme an, dass ihre Supporter ihr das eine oder andere nach oben gebracht haben… Sie wurde als Zweitletzte eliminiert, nach ihr dann noch der Australier Richard Binstead, gut 500 km vor dem Ziel.

Fazit?
  • Ein verrücktes X-Alps-Jahr mit dem 8. Triumph von Chrigel Maurer in Folge.
  • Verrückt schnell für 1223 km Luftdistanz und über 2100 geflogenen Kilometern, bloss 6 Tage und 6 Stunden – man rechne! Fliegen durften die Wettkämper:innen nur von 06:00 – 21:00h.
  • Der längste je geflogene Flug durch Damien Lacaze mit 266 km in 11 Stunden und 13 Minuten!
  • Die erste Frau im Ziel mit Eli Egger. X-Alps 2021 wurde Yael Margelisch, SUI 3, als 1. Frau überhaupt gewertet. Die Frauen fliegen immer stärker.
  • 23 Teilnehmer:innen im Ziel, davon 17 innerhalb von 24 h nach Chrigel, 24 insgesamt gewertet! Eine unglaubliche Leistungsdichte unterdessen.
  • Keine gravierenden Zwischenfälle oder Unfälle, obwohl meines Erachtens teilweise bei nicht mehr zulässigem Nordföhn geflogen wurde, ob über Oberalp und Furka, oder in Norditalien.
  • Chrigel tauschte kurz vor Renn-Beginn noch sein Supporter-Team aus – und es funktionierte dennoch tadellos. Nicht sooo erstaunlich, war er doch schon mit den Supportern Tobias Dimmler (2017) oder Andy Schäublin (2019) auch siegreich.
Ob Chrigel noch ein 9. und 10. Mal mitmachen wird? Wir werden es wohl rechtzeitig vernehmen.

Thomas Uhlmann / Westendorf, 24.06.2023, 18:00 h